Montag, 25. April 2016

26. April 1986: Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl


HISTORISCHE EREIGNISSE                  Schräges Lexikon                            TSCHERNOBYL

Die Chronologie einer Katastrophe





TSCHERNOBYL





26.4.1986       Im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl kommt es zum bisher schwersten Reaktorunfall in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie.



Die Chronologie  einer Katastrophe:  



Freitag, 25. April 1986,

01.06 Uhr:

Als erster Schritt sollte die thermische Leistung des Reaktors von ihrem Nennwert bei 3.200 MW (Megawatt) auf 1.000 MW reduziert werden, wie bei einer Regelabschaltung üblich. Der Reaktor sollte sowohl für eine Revision als auch für den Test hinuntergefahren werden.



Freitag, 25. April 1986,

13.05 Uhr:

Aufgrund erhöhter Stromnachfrage wird auf Anweisung des Lastverteilers in Kiew die Leistungsabsenkung bei einer erreichten Leistung von 1.600 MW unterbrochen und der Reaktor mit dieser Leistung konstant weiter betrieben. Bei diesen etwa 50 % Leistung wird der Turbogenerator 7 abgeschaltet.



Freitag, 25. April 1986,

14.00 Uhr:

Es wird begonnen, das Notkühlsystem abzuschalten. Grund dafür war, daß bei einem Notkühlsignal kein Wasser in den Reaktor gepumpt werden soll.



Freitag, 25. April 1986,

23.10 Uhr:

Es erfolgt die Freigabe zur weiteren Leistungsabsenkung. Der Reaktor soll nun langsam auf 25 % der Nennleistung hinuntergefahren werden.



Samstag, 26. April 1986,

00.00 Uhr:

Eine neue Schichtmannschaft übernimmt den Reaktor.



Samstag, 26. April 1986,

00.28 Uhr:

Bei 500 MW erfolgt eine Umschaltung innerhalb der Reaktorleistungsregelung. Durch einen Bedienfehler, durch den der Sollwert für die Gesamtleistungsregelung möglicherweise nicht richtig eingestellt wurde oder aufgrund eines technischen Defekts sank die Leistung weiter bis auf nur noch etwa 30 MW, was etwa 1 % der Nennleistung beträgt.



Wie nach jeder Leistungsabsenkung erhöhte sich vorübergehend die Konzentration des Isotops Xenon 135 im Reaktorkern („Xenonvergiftung“). Da Xenon 135 als Neutronengift für die nukleare Kettenreaktion sehr stark absorbiert, nahm aufgrund der Konzentrationszunahme die Reaktivität des Reaktors immer weiter ab.



Als die Betriebsmannschaft am

Samstag, 26. April 1986,

00.32 Uhr

die Leistung des Reaktors durch weiteres Ausfahren von Steuerstäben wieder anheben wollte, gelang ihr das infolge der mittlerweile aufgebauten Xe-Vergiftung nur bis zu etwa 200 MW oder 7 % der Nennleistung.



Obwohl der Betrieb auf diesem Leistungsniveau unzulässig war – lt. Vorschrift durfte der Reaktor nicht unterhalb von 20 % der Nennleistung betrieben werden, was 640 MW entspricht – und sich zu diesem Zeitpunkt außerdem viel weniger Steuerstäbe im Kern befanden, als für einen sicheren Betrieb vorgeschrieben waren, wurde der Reaktor nicht abgeschaltet, sondern der Betrieb fortgesetzt.



Samstag, 26. April 1986,

01.03 bzw. 01.07 Uhr:

Beim Schließen der Turbineneinlaßventile läuft normalerweise das Kernnotkühlsystem an. Das war jedoch ausgeschaltet. Um dessen Stromverbrauch für den Versuch zu simulieren, wurden nacheinander zwei zusätzliche Hauptkühlmittelpumpen in Betrieb genommen. Der dadurch erhöhte Kühlmitteldurchsatz verbesserte die Wärmeabfuhr aus dem Reaktorkern und reduzierte den Dampfblasengehalt in ihm. Der positive Dampfblasen-Koeffizient bewirkte eine Reaktivitätsabnahme, auf welche die automatische Reaktorregelung mit dem Herausfahren weiterer Steuerstäbe reagierte. Der Reaktorzustand verschob sich weiter in unzulässige Bereiche.



Samstag, 26. April 1986,

01.19 Uhr:

Die Wasserzufuhr in den Reaktor wird erhöht, um so die Warnsignale zu deaktivieren.



Samstag, 26. April 1986,

01.22 Uhr:

Es gelingt, den Reaktor zu stabilisieren und den Wasserpegel im Reaktor auf zwei Drittel des vorgeschriebenen Wertes zu steigern.



Samstag, 26. April 1986,

01.23:04 Uhr:

Der eigentliche Test begann durch Schließen der Turbinenschnellschlußventile. Dadurch wurde die Wärmeabfuhr aus dem Reaktor unterbrochen, sodaß die Temperatur des Kühlmittels nun anstieg. Infolge des positiven Dampfblasen-Koeffizienten kam es jetzt zu einem Leistungsanstieg, auf den die automatische Reaktorregelung folgerichtig mit dem Einfahren von Steuerstäben reagierte. Durch die relativ langsame Einfahrgeschwindigkeit der Steuerstäbe konnte die Leistung allerdings nicht stabilisiert werden, der Neutronenfluß stieg weiter an. Das bewirkte einen verstärkten Abbau der im Kern angesammelten Neutronengifte, insbesondere Xenon 135. Dadurch stiegen Reaktivität und Reaktorleistung weiter an, wodurch immer größere Mengen an Dampfblasen entstanden, die ihrerseits wieder die Leistung erhöhten. Die Effekte schaukelten sich auf.



Samstag, 26. April 1986,

01.23:40 Uhr:

Schichtleiter Alexander Akimow löst manuell den Knopf des Havarieschutzes, Typ 5 – Notabschaltung des Reaktors – aus. Dazu wurden alle zuvor aus dem Kern entfernten Steuerstäbe wieder in den Reaktor abgeworfen, doch hier zeigte sich ein weiterer Konzeptionsfehler des Reaktortyps: durch die an den Spitzen der Stäbe angebrachten Graphitblöcke wurde beim Einfahren eines vollständig herausgezogenen Stabs die Reaktivität kurzzeitig erhöht, bis der Stab tiefer in den Kern eingedrungen war. (Graphit war der Hauptmoderator des Reaktors.) Die durch das gleichzeitige Einfahren aller Stäbe massiv gesteigerte Neutronenausbeute ließ die Reaktivität so weit ansteigen, bis schließlich um 01.23.44 Uhr die prompten Neutronen alleine ohne die verzögerten Neutronen für die Kettenreaktion ausreichten und die Leistung innerhalb von Sekundenbruchteilen das Hundertfache des Nennwertes überschritt („Nukleare Leistungsexkursion“).



Die Hitze verformte die Kanäle der Steuerstäbe, daß diese nicht weit genug in den Reaktorkern eindringen konnten, um ihre volle Wirkung zu erzielen. Die Steuerstäbe verkeilten sich nach nur 2 bis 2,5 Metern anstelle der vorgesehenen 7 Meter im Reaktor. Die herrschende Temperatur ließ die Druckröhren reißen und das Zirkonium (Ummantelung) der Brennstäbe wie auch den Graphit mit dem umgebenden Wasser reagieren. Wasserstoff und Kohlenmonoxid entstand in größeren Mengen und konnte aufgrund der Beschädigungen des Reaktorkerns entweichen. Unterhalb des Reaktorgebäudedeckels bildeten diese mit dem Sauerstoff der Luft entzündbares Knallgas, das sich vermutlich entzündete und nur Sekunden nach der „nuklearen Exkursion“ zu einer zweiten Explosion führte.



Welche Explosion zum Abheben des „Biologischen Schildes“, des über 1.000 Tonnen schweren Deckels des Reaktorkerns führte, ist nicht ganz klar. Außerdem zerstörten die Explosionen das nur als Wetterschutz ausgebildete Dach des Reaktorgebäudes, der Reaktorkern war nun nicht mehr eingeschlossen und hatte direkte Verbindung zur Atmosphäre. Der glühende Graphit im Reaktorkern fing sofort Feuer. Insgesamt verbrannte während der folgenden zehn Tage 250 Tonnen Graphit, das sind etwa 15 % des Gesamtinventars.



Große Mengen an radioaktiver Materie wurden durch die Explosionen und den anschließenden Brand des Graphits in die Umwelt freigesetzt, wobei die hohen Temperaturen des Graphitbrandes für eine Freisetzung in große Höhen sorgten. Besonders die leicht flüchtigen Isotope Iod 131 und Cäsium 137 bildeten gefährliche Aerosole, die in einer radioaktiven Wolke teilweise hunderte, ja, tausende Kilometer weit getragen wurden, bevor sie der Regen aus der Atmosphäre wusch. Radioaktive Stoffe mit höherem Siedepunkt wurden hingegen vor allem in Form von Staubpartikeln freigesetzt, die sich in der Nähe des Reaktors niederschlugen.



Samstag, 26. April 1986,

04.30 Uhr:

Akimow meldet Formin, daß der Reaktor intakt geblieben sei. Obwohl augenscheinlich überall verstreute Bruchstücke des Brennstoffes und Graphitelemete verstreut lagen und die Situation bei Tageslicht offensichtlich war, wird seitens der Operatoren sowie der Kraftwerksleitung (Formin und Brjuchanow) noch bis zum Abend des 26. April darauf beharrt, daß der Reaktor intakt sei und nur gekühlt werden müsse. Entsprechende Meldungen werden nach Moskau übermittelt. Dieser Umstand ist hauptursächlich für die späte Evakuierung der Stadt Prypjat.



Samstag, 26. April 1986,

gegen 05.00 Uhr:

Die Brände außerhalb des Reaktors waren gelöscht. Block 3 wurde abgeschaltet.



Sonntag, 27, April 1986:

Die Blöcke 1 und zwei wurden um 01.13 bzw. 2.13 Uhr abgeschaltet. Es wurde begonnen, den Reaktor von Block 4 mit Blei, Bor, Dolomit, Sand und Lehm zuzuschütten. Das verringerte die Spaltproduktfreisetzung und deckte den brennenden Graphit im Kern ab. Das zur Kühlung in den Block 4 eingeleitete Wasser sammelte sich in den Räumen unter dem Reaktor, wo es stark kontaminiert wurde und mit etwa 1.000 Röntgen pro Stunde strahlte.



Montag, 28. April 1986,

09.00 Uhr:

Im Kernkraftwerk Forsmark in Schweden wurde aufgrund erhöhter Radioaktivität auf dem Gelände automatisch Alarm ausgelöst. Messungen an der Arbeitsbekleidung der angestellten ergaben erhöhte radioaktive Werte. Nachdem die eigenen Anlagen als Verursacher ausgeschlossen werden konnten, richtete sich der Verdacht aufgrund der aktuellen Windrichtung gegen eine kerntechnische Anlage auf dem Gebiet der Sowjetunion. Am gleichen Tag meldete die amtliche sowjetische Nachrichtenagentur TASS erstmals einen „Unfall“ im Kernkraftwerk Tschernobyl.



Dienstag, 29. April 1986:

Sowjetische Quellen sprechen erstmals von einer „Katastrophe“ und von zwei Todesopfern.



Sonntag, 4. Mai 1986, und

Montag, 5. Mai 1986:

Unterhalb der Anlage wurde begonnen, gasförmigen Stickstoff einzublasen, um so das Feuer zu ersticken. Zunächst bewirkte ein Nebeneffekt, daß die Wärme im Kern anstieg und so auch mehr radioaktive Partikel hinausgeblasen wurden.



Montag, 6. Mai 1986:

Die Freisetzung der Spaltprodukte war weitgehend unterbunden. Man begann, ein Stickstoffkühlsystem unter dem Reaktor einzubauen…

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